Stockholm
Redan Historia (Schon Geschichte): Der X420 - Ein Jahr nach dem Ende
Foto: Dirk Mattner
Vor genau einem Jahr ereilte auf einem Schrottplatz bei Nykroppa in Mittelschweden der Baureihe X420 ein jähes Ende. Und vor gerade einmal vier Jahren wurden die ersten X420 erstmals im Fahrgastbetrieb eingesetzt. Erheblicher Aufwand war mit der Beheimatung der Baureihe in Schweden verbunden gewesen. So füllt etwa die Vorbereitungsphase von 2 Jahren schon beinahe die Hälfte der gesamten, viel zu kurz geratenen Epoche des X420 aus. Warum es letztendlich so kam und welche Gründe zuvor zu dem Einsatz dieser Fahrzeuge im Dienste als Pendeltåg bewogen, wurde vor einem Jahr in einem Artikel der DREHSCHEIBE erklärt. Der Artikel aus DS190 soll an dieser Stelle nochmals mit freundlicher Genehmigung der DREHSCHEIBE einen Rückblick auf die Ereignisse ermöglichen.
X420 - Die (zu) kurze Epoche des
hl ET in Schweden
Das Ende zuerst:
Am 14.12.2005 endete mit einem Vollzug gebildet aus X420 044 und 058 der Einsatz der Baureihe (X)420 in Schweden. Der X420 058 hatte dabei die Ehre, sowohl im ersten als auch im letzten planmäßigen X420-Zug in Stockholm eingesetzt zu werden. Zusammen mit dem X420 054 und beladen mit den letzten Ersatzteilen, die jetzt nicht mehr benötigt werden, verließen die beiden Einheiten am Morgen des 16.12. die schwedische Hauptstadt, zu ihrer letzten Fahrt, die auf dem Schrottplatz in Nykroppa (Mittelschweden) endete.
Damit ist die Epoche des ET 420 in Schweden nach nur gut vier Jahren schon wieder Geschichte. Würde man diese Geschichte nicht erzählen, könnte man schon bald glauben, dass es dieses besondere Kapitel der deutsch-schwedischen Eisenbahngeschichte nie gegeben hätte.
Damals, kurz vor dem Polarkreis
Die Geschichte begann im Jahre 2000. In der Funktion als Verkehrsverbund und Besteller von Nahverkehrsleistungen im Großraum Stockholms hat SL (Storstockholms Lokaltrafik) um die Jahrtausendwende einen sehr hohen Schadstand bei den Fahrzeugen seiner S-Bahn, den Pendeltågen zu beklagen. Risse an den Drehgestellen bei den X1-Triebwagen im Verbund mit einer Wartung nach rein "betriebswirtschaftlichen Kriterien" zwangen die an sich zuverlässigen Triebwagen in die Knie. Eine neue Baureihe, der spätere X60, mit der das Problem hätte rasch behoben werden können, konnte erst 2001 bestellt werden, da die Neulieferungen für die Stockholmer U-Bahn Vorrang hatten. So kam es zu dem frühest möglichen Termin zur Indienststellung: Das Jahr 2005!
Für diese Übergangszeit musste schnell eine Lösung gefunden werden. Im Einsatz befanden sich bis zu diesem Zeitpunkt die Triebwagen der BR X1, erstes Baujahr 1968 und die BR X10, erstes Baujahr 1983. Die Probleme durch den Fahrzeugmangel waren erheblich und setzten SL zunehmend unter Druck. So begann eine europaweite Suche nach Ersatzfahrzeugen. Zwei Garnituren dänischer Bn konnten erworben werden und gelangten als Pendeltåg in den Einsatz. Diese Züge waren für den S-Bahn-Verkehr jedoch nicht sonderlich gut geeignet und mussten im Sandwichbetrieb mit zwei Rc-Loks gefahren werden. Die Loks wurden von "Green Cargo" gestellt. Zumeist erreichten diese Loks zur Nachtzeit Stockholm mit ihren Güterzugleistungen, wo sie dann für die Früh-HVZ für ein paar Stunden in den S-Bahnbetrieb wechselten. Für SL war dieser Einsatz ziemlich kostenintensiv und blieb insgesamt unbefriedigend.
In München wurden unterdessen die zuverlässigen und bewährten Olympia-Triebzüge aus den 70er-Jahren schrittweise durch die sog. Neubautriebwagen der BR 423 abgelöst, wobei die 420 abgestellt und später größtenteils verschrottet wurden.
Ein Bayer in Schweden
Bereits 2000 wurde SL auf die Münchner 420er aufmerksam und beabsichtigte Fahrzeuge hieraus für den Verkehr in Stockholm zu adaptieren.
Zu einem Verkauf von Triebzügen war die DB jedoch aus (un)bekannten Gründen keinesfalls bereit.
Getrieben durch den zunehmenden Druck der Öffentlichkeit in Stockholm, musste SL hierbei zu einigen Eingeständnissen bereit sein.
Dazu muss man wissen, dass das Betriebskonzept des ÖPNV in Stockholm mit dem des "Metronom" in Niedersachsen vergleichbar ist.
Bei diesem Konzept ist der Besteller gleichzeitig auch Eigentümer des Fahrzeugparks.
Diese Vorgabe konnte bei den 420 nicht umgesetzt werden, was zu langwierigen Verhandlungen und einem komplizierten Vertragswerk führte.
Im Oktober 2001 wurde der orange-weiße 420 060 auserkoren, als "forerunner" die Reise in den Norden anzutreten.
Nach der Reinigung von seinem letzten Fahrgasteinsatz und einer kurzen Durchsicht in seinem Heimatwerk Mü-Steinhausen fuhr er mit eigener Kraft über Nürnberg - Saalfeld - Halle - Magdeburg - Wittenberge - Rostock bis zur Fähre Sassnitz-Mukran - Trelleborg. Von dort ging es im Schlepp (wegen noch fehlender Zulassung) einer Rc4 nach Motala zur Fa. Motala Verkstad. Dort wurde er in zwei Monaten für den Einsatz in Schweden umgebaut und den Forderungen u.a. der Zulassungsbehörde und des schwedischen Arbeitsschutzes angepasst. So wurden als sichtbare Änderungen "elchfeste" Stirnfenster eingebaut und das deutsche 3-Licht Spitzensignal wich dem schwedischen 4-Leuchten-Fernlicht, und es wurden Rückspiegel an den Führerstandstüren angebracht. Des Weiteren wurde die schwedische Zugsicherung eingebaut.
Am 13.12.2001 erreichte der 420 060 dann als erster X420 das Werk Hagalund, als seine vorübergehende Heimat in Stockholm, noch in der deutschen Farbgebung orange-weiß. Es schlossen sich Probefahrten und die Zulassung für Schweden an, bis schließlich im August 2002 der Vertrag zwischen SL, DB Regio Sverige AB und Citypendeln, dem Betreiber der Stockholmer S-Bahn, geschlossen werden konnte. Die Fahrzeuge blieben im Eigentum der DB, vertreten durch DB Regio Sverige, die im Auftrag von SL den Verkehr durchführte. Mit dem Erbringen der Verkehrsleistung und der Wartung wurde Citypendeln von der DB beauftragt.
Unter der Flagge von DB Regio Sverige
Als erste "Lieferung" wurden der 420 020, 021, 026, 027, 044, 047, 054, 058, 060, 062, 065, 067, 110, 117 (der ursprünglich in München Museumszug werden sollte) und 119 ausgewählt.
Redesignte Fahrzeuge waren unter den 15 Auswanderern nicht dabei und so blieb es im Großen und Ganzen bei dem gewohnten 420er Ambiente aus den 70er.
Wegen Vorbehalten auf schwedischer Seite gegenüber Aluminium wurde zudem von SL gewünscht nur Fahrzeuge der 1. Bauserie zu verwenden.
Es bestand noch eine Option auf bis zu 15 weitere Fahrzeuge, die dann aber leider nicht mehr eingelöst wurde, sodass die in München hierfür vorgesehenen Fahrzeuge auch nach und nach abgefahren wurden.
Bei den Fahrzeugen wurde zuerst in Deutschland, und zwar in Berlin und Limburg, die erforderliche Modulsanierung an den Mittelwagen durchgeführt, die bereits in den Jahren zuvor eine Vielzahl von 420ern erhalten hatten. Nach Schließung des Bombardierwerkes in Berlin beendete das Werk Halle Ammendorf die dort angefangenen Arbeiten an der Revision und an einem Teil der schwedischen Umbauten (z.B. die modifizierte Türsteuerung und der Entfall der Trennwände im Fahrgastraum). Nach der gründlichen Inbetriebsetzung durch das Werk Hennigsdorf und mit Unterstützung durch das Werk München-Steinhausen erfolgte die Überführung über Sassnitz - Trelleborg nach Motala, wo der Umbau beendet wurde (u.a. die Umlackierung in die alte SL-Farbgebung in dunkelblau, der Einbau des ATC, der Klimaanlage in den Führerräumen und des schwedischen GSM-R Zugfunks). Der Umbau dauerte durchschnittlich 8 Wochen und, nach einer gemeinsamen Abnahme durch DB Regio, DB Regio Sverige AB und Citypendeln, wurden die Fahrzeuge nach Älvsjö überführt. Als erster Serien-X420 erreichte der X420 062 die schwedische Hauptstadt im Oktober 2002, als letzter, nun den Serienfahrzeugen angeglichen, der X420 060 erneut im November 2003. Zu Ehren eines um das Projekt X420 verdienten Mitarbeiters der Bauartverantwortung der DB Regio in München wurde der X420 060 auf den Namen Robert getauft. Nach der Ausbildung des Werkstatt- und Fahrpersonals wurde am 20.01.2003 mit dem X420 047 und 058 der planmäßige Verkehr in Stockholm aufgenommen.
Im ersten Halbjahr fiel der Einsatz der X420 noch recht bescheiden aus. Zur HVZ waren zunächst Vollzüge zwischen Tumba und Upplands Väsby unterwegs. SL wünschte sich möglichst viele Langzugeinsätze, was durch den großen Andrang zur HVZ durchaus sinnvoll erschien. Je mehr 420 zur Verfügung standen um so öfters konnte man 420er-Langzüge in Stockholm beobachten. Wie in Deutschland, so war auch in Schweden der Einsatz eines Begleiters vonnöten. Da bei den Pendeltågen seit jeher grundsätzlich immer ein Begleiter den Zug abfertigt, entstand mit dem Einsatz der X420 keinerlei Mehraufwand.
Im Sommer 2003 machten sich dann doch noch einige Anlaufschwierigkeiten bemerkbar. Die neuen Klimaanlagen für die Führerstände waren zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht einsatzfähig. Dies hatte zur Folge, dass während der ohnehin verkehrsschwachen Ferienzeit ein 420 Vollzug nur zur kühlen Morgenstunde auf die Strecke gehen durfte. Nach knapp zwei Umläufen zwischen Västerhaninge und Kungsängen verkrochen sich die X420 mit ihrer nutzlosen Dachdekorationen wieder ins Bw. Im Herbst konnten diese Probleme allmählich aus der Welt geschaffen werden.
Der Einsatz beginnt nun richtig
Das Betriebsprogramm konzentrierte sich nun auf den Streckenabschnitt Västerhaninge - Kungsängen. Dies sollte für die verbleibenden Jahre auch das Haupteinsatzgebiet bleiben. Mit bis zu vier Umläufen gleichzeitig waren X420 zu beinahe jeder Stunde und an jedem Wochentag auf diesem Abschnitt der Verbindung Bålsta - Nynäshamn unterwegs.
Abweichungen von diesen Umläufen gab es nur zu den Sommermonaten, wenn in Schweden traditionell ein Gang zurückgeschaltet wird. Im Sommer 2004 fielen dabei besonders zwei Leistungen auf, die nur kurzzeitig im Programm waren. Da war einmal ein verlängerter Umlauf über Kungsängen hinaus nach Bålsta zu verzeichnen. Und, ein besonderes Schmankerl, ein Umlauf über Tumba hinaus bis nach Södertälje Centrum. Das bedeutete, das man den X420 bei der besonderen Betriebssituation erleben konnte, die das Kopfmachen am alten Hauptbahnhof und die kurze Fahrt über die eingleisige Verbindung zu dem stadtnahen Kopfbahnhof im Talkessel beinhaltete.
So hat der X420 einen Großteil des Pendeltåg-Netzes regulär erfahren können. Einsätze über Västerhaninge hinaus nach Nynäshamn blieben den 420 jedoch verwehrt. Dieser eingleisige Abschnitt ist nur mit 110m-Bahnsteigen ausgerüstet, die für einen 420-Vollzug schon zu kurz sind. Zwar gilt dieser Abschnitt als relativ verkehrsschwach, doch für einen X420-Kurzzug ist die Nachfrage wiederum zu groß. "Kurzzug", diesen Begriff gibt es zwar als "korta tåg" auch bei Pendeltågen, jedoch blieb er für die X420 immer ein Fremdwort. 420er gab es in Stockholm immer mindestens im Doppelpack.
Die X420 wurden importiert, um den andauernden Fahrzeugmangel bei SL bis zur Inbetriebnahme der neu bestellten X60 von Alstom/LHB zu überbrücken. Im Winter 2004 / 2005 weilte dann der erste X60 zur Zulassung in Schweden, ab Sommer 2005 begann dann die Serienlieferung und im September gingen die ersten beiden Triebwagen in den Einsatz. Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich deutlich sichtbar ab, dass der Einsatz der X420 nicht mehr von langer Dauer sein würde. Die Planung zur Außerbetriebsetzung der X420 lief bei SL aber schon seit Anfang des Jahres.
Abschied auf Raten
Der Abstieg der 420 in Stockholm begann eigentlich schon im Oktober 2004, als X420 021 wegen eines Brandes aus dem Betrieb genommen werden musste.
Der Vorschlag mit Hilfe des Endwagens 420 030 die Garnitur wieder zu vervollständigen fand leider bei SL kein Gefallen und so diente 021 fortan als Ersatzteilspender.
Ende 2004 wurden dann noch sieben X420 von Älvsjö nach Hagalund im Norden Stockholms umbeheimatet und dort von Swedtrac betreut, so dass in beiden Bws zwei Langzüge und eine Reserveeinheit zur Verfügung standen.
Bis Herbst 2005 wurden die vier Langzüge noch planmäßig eingesetzt, drei davon jedoch nur noch als Verstärker in der morgendlichen Hauptverkehrszeit.
Mitte Oktober wurde dann der erste Frühumlauf gestrichen.
Am 27.10. wurden der X420 047, 060 und 117 als Erste zur Verschrottung nach Nykroppa gebracht.
Es folgten am 4.November X420 020, 062 und 110, die nach der Ankunft aus Tumba in Stockholm C sofort auf die Fahrt nach Nykroppa wendeten.
Den ersten Teil ihrer letzten Fahrt bis Kristinehamn legten alle X420 noch aus eigener Kraft zurück, die letzten Kilometer bis Nykroppa mangels Fahrdraht im Schlepp unterschiedlichster Tågab-Dieselloks.
Bei den ersten beiden Fuhren diente T43 107 als Schlepplok, die für Filmaufnahmen in Great-Northern-Farben lackiert wurde und immer noch so im Einsatz ist. Am 04.11. wurde auch zum letzten Mal der Tagesumlauf gefahren, mit dem eine X420-Garnitur den ganzen Tag zwischen Västerhaninge und Kungsängen unterwegs war. Der nächste Einschnitt erfolgte am 25.11., dem letzten Tag, an dem noch zwei Garnituren im Einsatz waren.
Noch am selben Tag wurden dann X420 026, 065 und 119 verabschiedet, die ab Kristinehamn mit der TMX 104, einer Nohab mit bunter Sonderlackierung, befördert wurden.
X420 027 und 067 folgten am 12.12., die von den beiden "Kleinloks" Z65 203 + 208 geschleppt wurden.
Wie eingangs erwähnt, gingen die letzten X420 am 16.12. auf die Reise.
Diesmal im Schlepp der T43 107, wie bei der ersten Überführung. Damit waren 14 der 15 X420 zum Zerlegen nach Nykroppa abgefahren worden. Alle waren bis zuletzt voll betriebsfähig, da sie ursprünglich für einen 8-jährigen Einsatzzeitraum revisioniert worden sind. Das Brandfahrzeug X420 021 wird seine letzte Fahrt im Februar 2006, allerdings vollständig im Schlepp, von Motala aus absolvieren.
In den nächsten Wochen wird dann in Westschweden das Kapitel X420 endgültig abgeschlossen werden.
Sämtliche Spuren werden fein säuberlich beseitigt, in 1:1 bleibt nichts erhalten.
So bleibt von den Einsätzen nur diese Geschichte übrig, die trotz Augenzeugenberichten und Fotos immer mehr zu einem Schwedischen Mittsommernachtsmärchen wird. Wer glaubt denn in 10 Jahren noch, das da mal Münchner S-Bahnzüge...
in Schweden...
Text: Michael Sauer und Dirk Mattner
Epilog
Das Resümee fällt trotz der Kurzsichtigkeit des Bestellers in Schweden und des damit verbundenen überstürzten Endes in Stockholm eindeutig positiv aus. Der ET 420 hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass er sehr wohl in der Lage ist auch nach über 30 Jahren härtesten Betriebseinsatz immer noch seine Pflicht zu erfüllen! Dank der Weitsichtigkeit seiner damaligen Konstrukteure stellt er ein rundum gelungenes Fahrzeug dar und mit Stolz und Mitleid wird er auf seinen sog. Nachfolger schauen, der niemals auch nur im geringsten in die Lage kommen wird, eine solche Aufgabe zu bekommen, geschweige denn diese so mit Bravour zu meistern! Für diejenigen die dabei sein durften und die Fahrzeuge in Stockholm im Einsatz erlebt haben wird dies sicherlich der nicht zu übertreffende Höhepunkt ihrer gesamten Zeit als Eisenbahnfuzzy sein! Somit wird der Dank an unsere ET und X420 wie die Erinnerung daran ewig anhalten.
Michael Sauer
7./8.BS
Johan Hellström
DREHSCHEIBE
Stand: 2006